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Posts Tagged ‘Seelenschmerz’

der einsamen Kämpferin gewidmet

27. Februar 2010 1 Kommentar

Immer mal wieder erreichen einen Mails von Menschen aus vergang’nen Zeiten. Und gerade in diesem neuen Jahr haben sich schon 3 verschollene Freundinnen/Bekannte aus alten Zeiten bei mir gemeldet (es lebe facebook und das Internet i.A.) Manche Mails sind schön, manche traurig und nachdenklich stimmend. Die Mails dieser Freundin stimmte mich mal wieder nachdenklich. Eine Frau, die so Eingies erlebt und mitgemacht hat und immer wieder gegen ignorante Menschenköpfe stösst. Wie weit ist es her mit unserem Mitgefühl und unserer Achtung für Menschen, die in der Sch***e steckten und sich raus strampeln? Und wie schnell setzt unser plattes Aburteilen ein, nach dem Motto: „Selber schuld!“?  Und woher nehmen wir das Recht, zu urteilen?

Hier ein paar Auszüge (mit Genehmigung unter Anonymität):

„[…] Manchmal frage ich mich, warum ich mich aus diesem ganzen Schlamassel raus gekämpft habe. Kaum jemand kann nachvollziehen, was es heisst, von der Strasse zu kommen, hundertfach misshandelt worden zu sein, schon von jungen Jahren an. Wenn man diesen ganzen Mist nicht mehr aushalten kann, bleibt einem nur, sich weg zu machen oder zu zu knallen. Und dann? Der beschissene Kreislauf um Drogen, Sex und Gewalt hat ja doch kein Ende, aber man kriegt es wenigstens nur noch ab und zu mit. […] Irgendwann, nach Tausend Versuchen und Fehlschlägen packt man es. Harte Jahre folgen. […] Scheiße man, das war echt ne scheißharte Zeit und die ganzen Weicheier mit ihren pseudo-Problemen gehen mir echt auf die Nerven. Die sollen einfach mal die Klappe halten und den Arsch zusammen kneifen! […] Echt man, und dann jammern sie rum wegen jedem Scheiß!!!

[…]Die Menschen um mich rum, selbst die, die mich zu kennen glauben, bekommen davon nichts mit. Miriam, manchmal fühle ich mich so scheiß einsam auf dieser Welt. Diese Welt ist so hart und grausam und ungerecht und ignorant und kalt und oft genug wünsche ich mich zurück, nur für einen Tag oder zwei, einfach mal wieder zuknallen.[…]

[…] Ja, ich habe es geschafft, ich bin sauber, habe sogar studiert und einen anerkannten Beruf. Viele sind auf der Strecke geblieben! Ich bin immer noch nicht eine „ganz normale“ Frau, ich bin nach wie vor eigen und verrückt, gehe auf Parties, versage in Männerfragen, trinke mein Beck’s. Ich verdiene nicht schlecht und sehe ganz fit aus, keiner sieht mir meine Vergangenheit hat und was meinen Immunstatus angeht, bin ich auch im grünen Bereich. […] und doch ekelt es mich manchmal an, als wenn ich mich nun nicht mehr an Männer verkaufen würde, dafür aber an den Staat und die Gesellschaft. Ist das das Leben? Macht das denn Sinn??? Ich rede schon lange nicht mehr über meine Vergangenheit. Die Menschen bekamen so einen komischen Blick. Mitleidig und angeekelt, entsetzt und fasziniert, als wenn ich ein Teil einer Freakshow wäre. Nein, das habe ich schon lange aufgegeben, doch es macht mich nur noch einsamer.  Weißt Du was ich meine? Was machst Du, wenn die Vergangenheit mal wieder ganz brachial über Dich herein bricht? […] ich weiß überhaupt nicht mehr, wer ich bin und wofür ich lebe.[…]

Nun ist Meike* ne echt fitte Frau und keiner käme auf die Idee, so eine  Vergangenheit (inclusive den Folgeschäden wie HepC und HIV, was für sich genommen auch schon heftig genug ist, sich damit zu arrangieren!)  bei ihr zu vermuten. Und doch, die Narben und Verletzungen der Seele sind zwar nicht sichtbar, aber für sie immer noch real und spürbar. Und was glaubt ihr: braucht so jemand Moralpredigten? Braucht so jemand noch mehr ignorante Menschen?

Leute, wir wissen nie, was der Mensch, der uns gegenüber steht durchgemacht hat, was ihn bewegt und geprägt und verletzt hat und zu dem Menschen werden lassen, der er/sie jetzt ist.

Es gibt diesem Spruch (Keine Ahnung von wem der ist): „Wenn jeder alles vom Anderen wüsste, es würde jeder gerne verzeihen“  Ich würde den ausweiten: „Wenn jeder alles vom Anderen wüsste, würden wir behutsamer miteinander umgehen“ und ich möchte glauben, dass es wahr ist, auch wenn mich auch meine Erfahrung gelehrt hat, dass Menschen gerne in die Wunden anderer hauen oder eben doch nicht damit umgehen können, wenn man sich offenbart.

Aber ich zähle mich selbst zu den Menschen, die an das Gute glauben, die sich immer wieder auf den Weg machen, neu Hoffnung und Zuversicht zu finden. Mein Gott verlässt mich nicht. Das ist es, was am Ende zählt für mich.

Ich weiß, Meike wird diese Krise durch stehen, aber ich weiß auch, wie hart es sein kann, einsam auf der Welt zu sein. Und eines kann ich Euch sagen: manchmal brauchen Menschen einen Freund, bei dem sie sich einfach anlehnen können. Jemanden, der nichts groß sagt (denn da gibt es nicht viel zu sagen), sondern einfach da ist und einen festhält…

*Name geändert

Diese Mail hat mich an ein Gedicht denken lassen, das vor viele Jahren zu meinen Lieblingsgedichten zählte. Entsprechend meiner damaligen Verfassung waren meine Favoriten Schriftsteller der schwarzen Romantik, ganz oben natürlich Baudelaire.

"die Zerstörung"

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